Hängetrauma - Vorbeugung und Verhalten im Notfall

Hängetrauma - Vorbeugung und Verhalten im Notfall

Das Hängetrauma ist ein lebensbedrohliches Ereignis, dass bei längerem und bewegungslosem Hängen in einem Auffanggurt bei aufrechter Position eintritt. Dabei kommt es zu einer Verminderung des Rückstroms des Blutes aus den Beinen zum Herzen, wodurch ein (Kreislauf)-Schockzustand mit möglicher Todesfolge entstehen kann. Bei den betroffenen Berufsgruppen handelt es sich in der Regel um seilgesicherte Arbeiter, welche beispielsweise als Industriekletterer Tätigkeiten in großer Höhe durchführen. Im Notfall sind Erste-Hilfe-Maßnahmen zügig zu organisieren und der Eigenschutz zu priorisieren. Eine sachkundige Ermittlung der Gefahren und die Festlegung der Rettungsmaßnahmen ist essenziell. Die bestimmungsgemäße Auswahl der persönlichen Schutzausrüstung sowie die entsprechende Auswahl, Ausbildung und Unterweisung der Beschäftigten ist von höchster Relevanz.

Gefährdete Berufsgruppen

Der technische Fortschritt und der Wunsch Grundstücksflächen effektiver zu nutzen, führte mit Ende des 19. Jahrhunderts zur Entstehung immer höherer Gebäude und industrieller Anlagen. Damit einhergehend wurden Beschäftigte benötigt, welche in großer Höhe Bauarbeiten sowie die Installation technischer Gerätschaften und die Wartung derselben ausführen konnten. Der Beruf des Industriekletterers entstand und sie üben heute in unterschiedlichsten Branchen eine seilgesicherte Tätigkeit aus. Weitere in diesem Kontext nennenswerte Berufsgruppen sind Baumpfleger und Bergsteiger.

Beipiele für seilgesicherte Tätigkeiten:

  • Montage von Stahlseilen, Funk- und Sendemasten, Windkraftanlagen und Glas
  • Sanierung von Dächern, Taubenabwehr und Fassadeninspektion
  • Reinigung von Silos, Tankanlagen, Industrieanlagen und Glasfassaden
  • Baudienstleistungen in Form von Elektoinstallation, Rohrleitungsbau und Fassadenbau
  • Anbringung von Plakaten, Werbebannern oder Leuchtreklame
  • Pflege von Bäumen in Parkanlagen und an Straßen und Wohngebieten zum Erhalt der Verkehrssicherheit
  • Besteigung von Bergen als Bergführer

Entstehung des Hängetraumas 

In der Fachlitereatur wurde über verschiedenste Kausalketten diskutiert. Vor allem für zwei Mechanismen konnte eine besondere Rolle bei der Entstehung des Hängetraumas zugesprochen werden. Zum einen führt die Schwerkraft und das bewegungslose Hängen im Auffanggurt, z.B. nach einem Sturz, zu einer Ansammlung von venösem Blut in den abhängenden Körperpartien. Beim bewegungslosen Hängen im Auffanggurt fehlt der Widerstand unter den Füßen. Die Wirkung der „Muskelpumpe“ kann sich in den Beinen somit nicht entfalten und der venöse Blutrückstrom zum Herzen wird stark vermindert. Das Herz leitet das verminderte Blutvolumen zu weiteren Organsystemen weiter, jedoch genügt dieses Blutvolumen nicht zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. In der Folge entsteht ein lebensgefährlicher (Kreislauf)-Schockzustand mit möglicher Todesfolge.

‍Pathophysiologische Kausalkette des Hängetraumas:

  • Ausfall der Muskelpumpe (Verminderung des venösen Blutrückstroms)
  • Relative Hypovolämie (Venöses Blut versackt in den Beinen)
  • Verminderung der Herzauswurfleistung (Verursacht durch Minderung des venösen Blutrückstroms)
  • Unterversorgung der Organsysteme mit Blut und damit auch Sauerstoff
  • Störung auf zellulärer Ebene (Verursacht durch Sauerstoffmangel)
  • Zellschwellung und Zelltod

Des Weiteren scheint eine Reflexantwort in Zusammenhang zu dieser Kausalkette zu stehen. Der verminderte venöse Blutrückstrom zum Herzen soll über eine Reflexantwort zu einem Absinken der Herzfrequenz führen und damit eine Bewusstlosigkeit einleiten, ähnlich einer vasovagalen Synkope („Ohnmachtsanfall“). Die Grundlage für diese Art der Synkope ist eine Unterversorgung des Gehirns mit Blut und somit Sauerstoff. Die Ansammlung des venösen Blutes in den abhängenden Körperpartien und die soeben beschriebene Reflexantwort scheinen die beiden Hauptmechanismen für die Entstehung des Hängetraumas zu sein. Es gilt eine freihängende Position zu vermeiden.

Symptome des Hängetraumas

Die Entstehung eines Hängetraumas tritt durch verschiedene Symptome in Erscheinung.

Der Zeitpunkt des Auftretens sowie die Anzahl der Symptome können je nach Gesundheits- und Körperzustand individuell deutlich variieren. Die folgenden Symptome können auf die Entstehung eines Hängetraumas hinweisen:

  • Übelkeit
  • Schwindel
  • Blässe
  • Schwitzen
  • Kurzatmigkeit
  • Sehstörungen
  • Pulsanstieg oder Pulsabstieg
  • Blutdruckanstieg oder Blutdruckabfall

‍Weiterhin können verschiedene Faktoren die Entstehung eines Hängetraumas begünstigen:

  • Erschöpfung
  • Flüssigkeitsmangel
  • Schmerzen
  • Verletzungen
  • Unterzuckerung (Hypoglykämie)
  • Angstzustände
  • Witterungseinflüsse
  • Sturz

Vorbeugung 

Das Auftreten eines Hängetraumas ist heute sehr unwahrscheinlich.

Die Einführung sorgfältiger Maßnahmen im Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Weiterentwicklung der Gurtsysteme haben einen wesentlichen Teil zur Sicherheit bei seilgesicherten Arbeiten beigetragen. Die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz sollte bestimmungsgemäß genutzt werden und exakt an die Person angepasst werden. Ein Hängeversuch ist erforderlich und sollte schmerzfrei möglich sein. Der seilgesicherte Arbeiter sollte auf die Gefahr eines Hängetraumas hingewiesen und während der Ausbildung in entsprechenden Maßnahmen und Verfahren umfassend geschult werden. Die gesundheitliche Eignung sollte vor Aufnahme der Tätigkeit und danach in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Im Zuge einer Gefährdungsbeurteilung sind die Planung und Vorbereitung von Rettungsmaßnahmen festzulegen. Es sollte mindestens eine zweite Person vor Ort sein, um Rettungsmaßnahmen und eine Rettungskette einzuleiten. Die entsprechende Rettungsausrüstung ist am Einsatzort vorzuhalten. 

Verhalten im Notfall

Sobald sich Anzeichen für die Entstehung eines Hängetraumas ergeben, muss unverzüglich gehandelt werden. Dabei sollte grundsätzlich versucht werden die betroffene Person aus der freihängenden Position zu befreien. Hat eine Person das Bewusstsein noch nicht verloren und ist handlungsfähig, so ist der vermehrten Ansammlung des Blutes in den abhängenden Körperpartien entgegenzuwirken und die Muskelpumpe zu aktivieren. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die hängende Person den Blutrückstrom zum Herzen durch die Bewegung der Beine fördert, z.B. durch „Luftradfahren“. Als effektiver gilt es die Beine gegen Widerstand zu drücken. Dabei kann man sich z.B. von einer Haus-, Glas- oder Bergwand mehrmals abstoßen oder eine Trittschlinge anwenden. Es werden zur Veranschaulichung zwei Trittschlingen vorgestellt:

Halteseil mit Längeneinstellvorrichtung

Das Halteseil mit Längeneinstellvorrichtung ermöglicht es der betroffenen Person Ihre Füße in eine Seilschlaufe zu drücken, um die Muskelpumpe zu aktivieren. Das Halteseil wird an beiden seitlichen Halteösen des Auffanggurtes angebracht. Dabei formt sich eine Seilschlaufe, dessen Länge so einzustellen ist, dass die Person Ihre Füße gegen den Widerstand der Seilschlaufe hineindrücken kann.

‍Prusikschlinge

Die Prusikschlinge wird mit Hilfe einer Reepschnur und dem Prusikknoten am Sicherungsseil befestigt. Der Prusikknoten ist ein lösbarer Klemmknoten und die Prusikschlinge ist vor Arbeitsbeginn vorzubereiten. Dabei ist die Prusikschlinge auf die Körpergröße der Person abzustimmen und später beim Klettervorgang mit sich geführt werden. Analog zum Halteseil, sollte die Person im Ernstfall mit den Füßen in die Prusikschlinge gegen Widerstand drücken, um die Muskelpumpe zu aktivieren.

Die Anwendung beider Trittschlingen sollte vorher geübt werden.

Hat eine Person bereits das Bewusstsein verloren und ist damit nicht handlungsfähig, so muss diese unverzüglich aus der freihängenden Position befreit werden. Es obliegt dem Unternehmer für geeignete und schnelle Rettungsmaßnahmen zu sorgen. Im Regelfall verfügt der öffentliche Rettungsdienst nicht über die Ausrüstung und Personal für eine Höhenrettung. Dadurch muss der Unternehmer meist selbst fachkundiges Personal und Ausrüstung zur Höhenrettung vorhalten. Der Eigenschutz hat Priorität und muss beachtet werden.

Erste-Hilfe-Maßnahmen

Das Hängetrauma ist ein medizinischer Notfall und ein Notruf muss unverzüglich abgesetzt werden. Nach der Höhenrettung der Person sind die bekannten Maßnahmen zur Ersten Hilfe durchzuführen. Dabei ist bei bewusstlosen Patienten ein freier Atemweg durch Überstreckung des Kopfes von allerhöchster Priorität. Aktuell wird initial eine Flachlagerung empfohlen und es sollte auf weitere Verletzungen geachtet werden. Die früher empfohlene Kauerstellung ist nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen hinfällig und sollte nicht mehr durchgeführt werden.

Fazit

Das Hängetrauma bei seilgesicherten Arbeiten ist lebensbedrohlich. Das Risiko für ein Auftreten ist sehr unwahrscheinlich und ist einer Vielzahl von Maßnahmen und Entwicklungen in der Technik und Ausbildung zu verdanken.